G. W. F. Hegel

Daß die Magistrate von den Bürgern gewählt werden müssen (1798)

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Nur der Anfang ist als Manuskript erhalten. [1] Der Titel lautete ursprünglich: »Daß die Magistrate vom Volk gewählt werden müssen.« Dann wurde »vom Volk« ersetzt durch »von den Bürgern« und schließlich der ganze Titel gestrichen — aber offenbar von fremder Hand. Die Dedikation ist ebenfalls gestrichen.

Das Übrige wurde von Haym überliefert.


An das Württembergische Volk

Es wäre einmal Zeit, daß das württembergische Volk aus seinem Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung, aus seiner Abwechslung von Erwartung und von Täuschung in dieser Erwartung herausträte. Ich will nicht sagen, daß es auch Zeit wäre, daß jeder, der in einer Veränderung der Dinge oder in der Erhaltung des Alten nur seinen beschränkten Nutzen oder den Nutzen seines Standes wünscht, nur seine Eitelkeit um Rat fragt, — jene dürftigen Wünsche aufgebe, diese kleinlichen Sorgen fahren ließe und die Sorge fürs Allgemeine sich auf die Seele bände. Für die Menschen von besseren Wünschen, von reinerem Eifer wäre es besonders Zeit, ihrem unbestimmten Willen die Teile der Verfassung vorzuhalten, welche auf Ungerechtigkeit gegründet sind, und auf die notwendige Veränderung solcher Teile ihre Wirksamkeit zu richten.

Die ruhige Genügsamkeit an dem Wirklichen, die Hoffnungslosigkeit, die geduldige Ergebung in ein zu großes, allgewaltiges Schicksal ist in Hoffnung, in Erwartung, in Mut zu etwas anderem übergegangen. Das Bild besserer, gerechterer Zeiten ist lebhaft in die Seelen der Menschen gekommen, und eine Sehnsucht, ein Seufzen nach einem reineren, freieren Zustande hat alle Gemüter bewegt und mit der Wirklichkeit entzweit. Der Drang, die dürftigen Schranken zu durchbrechen, hat seine Hoffnungen an jedes Ereignis, an jeden Schimmer, selbst an Freveltaten geheftet. Woher konnten die Württemberger gerechtere Hilfe erwarten als von der Versammlung ihrer Landstände? Das Aufschieben der Befriedigung dieser Hoffnungen, die Zeit kann jene Sehnsucht nur läutern, das Reine vom Unreinen scheiden, aber sie wird den Trieb nach dem, was einem wahren Bedürfnis abhilft, nur verstärken, jene Sehnsucht wird sich durch die Zögerung nur desto tiefer in die Herzen einfressen; sie ist kein zufälliger Schwindel, der vorübergeht. Nennt sie einen Fieberparoxysmus, aber er endigt nur mit dem Tode, oder wenn die kranke Materie ausgeschwitzt ist. Er ist eine Anstrengung der noch gesunden Kratt, das Übel auszutreiben.

Allgemein und tief ist das Gefühl, daß das Staatsgebäude, so wie es jetzt noch besteht, unhaltbar ist, — allgemein ist die Ängstlichkeit, daß es zusammenstürzen und in seinem Falle jeden verwunden werde. — Soll mit jener Überzeugung im Herzen diese Furcht so mächtig werden, daß man es aufs gute Glück ankommen lassen will, was umgestürzt, was erhalten werden, was stehen oder was fallen möge? Soll man nicht das Unhaltbare selbst verlassen wollen? mit ruhigem Blick untersuchen, was zu dem Unhaltbaren gehört? Gerechtigkeit ist in dieser Beurteilung der einzige Maßstab; der Mut, Gerechtigkeit zu üben, die einzige Macht, die das Wankende mit Ehre und Ruhe vollends wegschaffen und einen gesicherten Zustand hervorbringen kann.

Wie blind sind diejenigen, die glauben mögen, daß Einrichtungen, Verfassungen, Gesetze, die mit den Sitten, den Bedürfnissen, der Meinung der Menschen nicht mehr zusammenstimmen, aus denen der Geist entflohen ist, länger bestehen, daß Formen, an denen Verstand und Empfindung kein Interesse mehr nimmt, mächtig genug seien, länger das Band eines Volkes auszumachen!

Alle Versuche, Verhältnissen, Teilen einer Verfassung, aus welchen der Glaube entwichen ist, durch großsprechende Pfuschereien wieder Zutrauen zu verschaffen, die Totengräber mit schönen Worten zu übertünchen, bedecken nicht nur die sinnreichen Erfinder mit Schande, sondern bereiten einen viel fürchterlicheren Ausbruch, in welchem dem Bedürfnisse der Verbesserung sich die Rache beigesellt und die immer getäuschte, unterdrückte Menge an der Unredlichkeit auch Strafe nimmt. Bei dem Gefühle eines Wankens der Dinge sonst nichts tun, als getrost und blind den Zusammensturz des alten, überall angebrochenen, in seinen Wurzeln angegriffenen Gebäudes zu erwarten und sich von dem einstürzenden Gebälke zerschmettern zu lassen, ist ebensosehr gegen alle Klugheit als gegen die Ehre.

Wenn eine Veränderung geschehen soll, so muß etwas verändert werden. Eine so kahle Wahrheit ist darum nötig gesagt zu werden, weil die Angst, die muß, von dem Mute, der will, dadurch sich unterscheidet, daß die Menschen, die von jener getrieben werden, zwar die Notwendigkeit einer Veränderung wohl fühlen und zugeben, aber, wenn ein Anfang gemacht werden soll, doch die Schwachheit zeigen, alles behalten zu wollen, in dessen Besitze sie sich befinden, wie ein Verschwender, der in der Notwendigkeit ist, seine Ausgaben zu beschränken, aber jeden Artikel seiner bisherigen Bedürfnisse, von dessen Beschneidung man ihm spricht, unentbehrlich findet, nichts aufgeben will, bis ihm endlich sein Unentbehrliches wie das Entbehrliche genommen wird. Das Schauspiel einer solchen Schwäche darf ein Volk, dürfen Deutsche nicht geben; nach kalter Überzeugung, daß eine Veränderung notwendig ist, dürfen sie sich nun nicht fürchten, mit der Untersuchung ins einzelne zu gehen, und, was sie Ungerechtes finden, dessen Abstellung muß der, der Unrecht leidet, fordern, und der, der im ungerechten Besitz ist, muß ihn freiwillig aufopfern.

Diese Stärke, sich über sein kleines Interesse zur Gerechtigkeit erheben zu können, wird bei der folgenden Untersuchung ebensosehr vorausgesetzt als die Redlichkeit, es zu wollen und es nicht nur vorzugeben. Nur zu oft liegt hinter den Wünschen und dem Eifer fürs allgemeine Beste der Vorbehalt verborgen: soweit es mit unserem Interesse übereinstimmt. Eine solche Bereitwilligkeit, zu allen Verbesserungen das Jawort zu geben, erschrickt, erblaßt, sobald auch einmal eine Anforderung an diese Bereitwilligen selbst gemacht wird.

Fern von dieser Heuchelei fange jeder einzelne, jeder Stand, ehe er Forderungen an andere macht, ehe er die Ursache des Übels außer sich sucht, bei sich selbst damit an, seine Verhältnisse, seine Rechte abzuwägen, und wenn er sich im Besitz ungleicher Rechte findet, so strebe er danach, sich ins Gleichgewicht mit den übrigen zu setzen. Wer will, mag diese Forderung, bei sich selbst anzufangen, für blind und unwirksam halten, die Hoffnung auf diese Art Unrecht abgestellt zu … [bricht ab]


[1] Bd. 13, BL. 63-66.